Widerrufsjoker: Die unbegründete Angst vor fehlender Anschlussfinanzierung bei falscher Widerrufsbelehrung

Immer wieder findet sich in Medienberichten wie jüngst in der F.A.Z. die Warnung vor einer übereilten Nutzung des Widerrufsjokers. Die Argumentation dabei: Wenn die Bank den Widerruf akzeptiert, dann muss der Kunde den Kredit innerhalb von 30 Tagen zurückzahlen. Gelingt das nicht, beispielsweise weil eine Anschlussfinanzierung fehlt, dann droht die Zwangsversteigerung der Immobilie. Fazit dieser Berichte: Lassen Sie lieber die Finger vom Widerrufsjoker.

Aus meiner Sicht sitzen hier Medien und auch Verbraucherschützer einer Angstkampagne auf, die von den Banken gesteuert wird. Deren Ziel ist so einfach wie durchsichtig: Kunden sollen davon abgehalten werden, ihr Verbraucherrecht wahrzunehmen. Machen wir deshalb mal den Faktencheck: Was steckt hinter der Angst vor der fehlenden Anschlussfinanzierung? Wie realistisch ist die Gefahr der Zwangsversteigerung?

Um das beschriebene Krisenszenario zu verwirklichen müssen zwei Dinge zusammenkommen:

 

  1. Die Bank akzeptiert den Widerruf des Kunden anstandslos und führt eine Rückabwicklung des Darlehens durch. Nur dann beginnt die 30-Tage-Frist zu laufen.
  2. Der Kunde verfügt über eine mangelhafte Bonität und schafft es nicht, innerhalb dieser Frist eine Umschuldung bei einer anderen Bank zu realisieren.

 

Selbst wenn beide Punkte zusammenkommen, sind wir noch weit von einer Zwangsversteigerung entfernt. Nach 30 Tagen befindet sich der Kunde mit der Rückzahlung des Kredits erst einmal in Verzug. Er muss dann zwar Verzugszinsen zahlen, verliert aber noch lange nicht seine Immobilie. Eine Zwangsversteigerung anzuberaumen dauert in Deutschland in der Regel etwa ein Jahr. So lange hat der Kunde also in der Praxis Zeit.

Aber schauen wir vor allem einmal wie realistisch es ist, dass die beiden oben genannten Punkte überhaupt zusammenkommen:

Die Anwälte, mit denen wir bei der IG Widerruf (www.widerruf.info) zusammenarbeiten, haben inzwischen mehr als 2.500 Kreditverträge geprüft und eine ordentliche dreistellige Zahl an Mandaten abgearbeitet. Die Zahl der Fälle, in denen die Banken den Widerruf anstandslos akzeptiert haben und eine vollständige Rückabwicklung des Darlehens eingeleitet haben, beträgt genau: Null.

Der Grund dafür ist einfach: Eine vollständige Rückabwicklung ist für die Banken enorm teuer. Sie müssen den Kunden nicht nur aus dem Kredit entlassen, sondern ihm zusätzlich eine Art Schadensersatz für in der Vergangenheit zu viel gezahlte Zinsen bezahlen. In der Summe macht dies meist zusätzliche 10-20 Prozent der Kreditsumme aus. Deswegen wird diese Lösung außergerichtlich so gut wie nie erreicht.

Stattdessen bieten die Banken häufig einen Kompromiss an. Sie entlassen den Kunden ohne Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung aus dem Darlehen, verweigern aber die Kompensation für die Vergangenheit. Oder sie bieten an, den Kredit zu einem günstigeren Zinssatz (beispielsweise zwei Prozent statt fünf Prozent) fortzuführen. Beide Konstellationen sind für den Kunden immer noch sehr lukrativ. In beiden Fällen aber greift die 30-Tage-Frist nicht. Denn sobald die Bank einen solchen Vorschlag macht, muss der Kunde erst zustimmen, damit dieser wirksam wird. Das bedeutet, dass der Kunde das Heft des Handelns in der Hand hält. In Variante eins (Entlassung aus dem Kredit) kann er in Ruhe eine Umschuldung sichern, bevor er dem Kompromiss zustimmt. In Variante zwei (Absenkung des Zinssatzes) benötigt er ohnehin keine Anschlussfinanzierung.

Bleibt die Frage nach Punkt zwei unseres „Horror-Szenarios“. Wie wahrscheinlich ist es, dass ein Kunde keine Anschlussfinanzierung findet? Der Finanzierungsexperte der IG Widerruf sagt ganz klar: Es gibt genügend bundesweit tätige Banken und Versicherungen (derzeit rund 30 an der Zahl), die nach dem Widerruf eine Anschlussfinanzierung anbieten. Voraussetzung: eine intakte Bonität und eine werthaltige Immobilie. Sind diese Faktoren erfüllt, muss niemand Angst davor haben, ohne Umschuldung dazustehen.

Fazit: Die Angst vor einer Zwangsversteigerung ist unbegründet. Umso bedauerlicher ist es, dass sich einige Medien und Verbraucherschützer unwissentlich vor den Karren der Banken spannen lassen. Ein Risiko besteht lediglich für Kreditnehmer, die Schwierigkeiten mit ihrer Bonität haben. Wer seinen Job verloren hat oder als Selbständiger mit deutlich sinkenden Einnahmen kämpft bzw. ein schlechtes Schufa-Scoring hat, sollte sich daher einen Widerruf des Kredits in der Tat gut überlegen. Gleiches gilt auch, wenn die Immobilie deutlich an Wert verloren hat. Das ist aber angesichts der Immobilienpreisentwicklung der vergangenen Jahre unwahrscheinlich. Für alle anderen gibt es wenig Grund zur Sorge.

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