Widerrufsjoker: BGH erklärt Sparkassen-Kredite aus 2010/2011 für ungültig
Der Bundesgerichtshof hat die mit Spannung erwartete Begründung seines Urteils (XI ZR 434/15) aus dem November 2016 zum sogenannten Widerrufsjoker veröffentlicht. Dabei wird deutlich: Zahlreiche Baufinanzierungen der Sparkassen aus dem Zeitraum Mitte 2010 bis Ende 2011 sind fehlerhaft und können widerrufen werden. Verbraucher können daher sofort aus diesen Darlehen aussteigen und viel Geld sparen.
In dem Urteil ging es um eine Baufinanzierung, die im August 2010 bei einer Sparkasse abgeschlossen wurde. Dort hatte die Bank einen Mustervertrag verwendet, der in diesem Zeitraum fast flächendeckend von allen Sparkassen in Deutschland genutzt wurde. Darin wird in der Widerrufsbelehrung die „zuständige Aufsichtsbehörde“ als sogenannte Pflichtangabe genannt. Diese Pflichtangaben sind Voraussetzung dafür, dass die normale 14tägige Widerrufsfrist zu laufen beginnt.
Problem der Sparkassen: Sie hatten die Aufsichtsbehörde nicht im Darlehensvertrag genannt, sondern nur in einem vorvertraglichen Informationsblatt, dem sogenannten „Europäischen Standardisierten Merkblatt“, kurz ESM. Dieses gehört aber nach Ansicht von Experten nicht zum eigentlichen Kreditvertrag. Der BGH sagt in der nun veröffentlichten Begründung eindeutig, dass die Aufsichtsbehörde „im Kreditvertrag“ genannt werden müsse. Der vorliegende Vertrag wird daher auch als fehlerhaft eingestuft: die 14 tägige Widerrufsfrist habe nicht zu laufen begonnen. Das Darlehen könne daher auch Jahre nach Abschluss noch wirksam widerrufen werden. Der Widerrufsjoker greift also.
Ein solcher Widerruf führt dazu, dass der Kreditnehmer sich trotz laufender Zinsbindung sofort aus einer laufenden Baufinanzierung lösen kann und das Darlehen rückabgewickelt werden muss. Dies ist für die meisten Verbraucher äußerst lukrativ, weil Kredite aus den Jahren 2010 und 2011 in der Regel einen Zinssatz zwischen drei und mehr als vier Prozent haben, der noch bis mindestens 2020 zu zahlen ist. Aktuelle Baufinanzierungen kosten aufgrund der deutlich gesunkenen Zinsen zumeist deutlich weniger als die Hälfte. Zudem schuldet die Bank dem Verbraucher bei einer Rückabwicklung die Verzinsung der bisher geleisteten Zahlungen, also Zins und Tilgung.
In der Konsequenz bedeutet das Urteil, dass Zehntausende Baufinanzierungen der Sparkassen nun von den Kunden widerrufen werden können. Denn der Mustervertrag, über den der BGH nun geurteilt hat, wurde von fast allen deutschen Sparkassen ab Juni 2010 verwendet. Die meisten Kreditinstitute haben das fehlerhafte Dokument bis 2011 verwendet, einzelne sogar bis 2012. Die durchschnittliche Ersparnis der Kunden liegt dabei zwischen 10.000 und 20.000 Euro.
Verbraucher, die in diesem Zeitraum eine Baufinanzierung abgeschlossen haben, sollten daher nun von einem Fachmann prüfen lassen, ob ihr Darlehen unter das Urteil fällt. Die Interessengemeinschaft Widerruf bietet beispielsweise eine solche anwaltliche Prüfung kostenlos und unverbindlich an. Werden Fehler festgestellt, kann der Widerruf gemeinsam mit dem prüfenden Anwalt umgesetzt werden.
Für andere Banken ist das BGH-Urteil nur bedingt anwendbar. So hatten einige Institute die zuständige Aufsichtsbehörde korrekt im Vertrag genannt, andere haben sie in den AGBs aufgeführt, die üblicherweise zum Kreditvertrag gezählt werden. Dennoch lohnt auch hier eine individuelle Prüfung, wenn das Darlehen im Zeitraum Mitte 2010 bis Ende 2011 abgeschlossen wurde.