Widerrufsjoker: OLG Stuttgart sieht sieben Jahre nach Ende des Darlehens keine Verwirkung

Mit einem wegweisenden Urteil stärkt das OLG Stuttgart die Position von Verbrauchern, wenn es um den Widerruf eines Darlehens geht, den sogenannten Widerrufsjoker. Auch sieben Jahre nach Beendigung des Kredits ist der Widerruf noch möglich und wirksam. Eine Verwirkung oder ein Rechtsmißbrauch des Kunden werden verneint.

In dem Urteil vom 23. Mai 2017 (Az. 6 U 192/16) ging es um eine Baufinanzierung, die im Jahr 2004 abgeschlossen wurde und vier Jahre später, also 2008, mit einer Aufhebungsvereinbarung vorzeitig beendet wurde. Erst Ende 2015, also mehr als sieben Jahre später, widerrief der Kunde das Darlehen mit Hinweis auf eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung und forderte mit Hilfe des Widerrufsjokers die Rückabwicklung des Darlehens.

Nun fällt der Widerruf von bereits beendeten Darlehen in eine Art Grauzone, für die keine klaren Regeln gelten. Einige Gerichte urteilen, dass der Widerruf in diesem Fall nicht mehr möglich ist, zumindest dann, wenn seit Beendigung des Darlehens eine längere Zeitspanne vergangen ist. In diesem Fall sprechen einige Richter davon, dass das Widerrufsrecht verwirkt sei. Im Kern lautet die Begründung: Die Bank habe sich darauf verlassen können, dass dieser Fall abgeschlossen sei und der Verbraucher nicht mehr mit irgendwelchen Forderungen um die Ecke kommt. Der Widerrufsjoker greift in diesem Fall nach Ansicht einiger Gerichte also nicht.

Der BGH hat sich in mehreren Fällen um eine eindeutige Aussage gedrückt. Zwar sagten die obersten Richter mehrfach, dass bei Widerruf eines laufenden Darlehens keine Verwirkung anzunehmen sei. Allerdings blieb der BGH eine klare Antwort schuldig, ob der Widerrufsjoker greift, wenn der Widerruf erst nach Beendigung des Kredits ausgesprochen wurde. Hier sei im Einzelfall zu prüfen, ob Anhaltspunkte für eine Verwirkung vorliegen, urteilt der BGH und verwies mehrere Fälle zurück an die unteren Instanzen.

Sehr erfreulich aus Verbrauchersicht ist deshalb, dass das OLG Stuttgart im vorliegenden Fall diese Einzelfallprüfung zugunsten des Verbrauchers ausgelegt hat. Unter anderem stellen die Stuttgarter Richter fest, dass die einvernehmliche Beendigung des Darlehens kein Grund für eine Verwirkung sei. Auch die relativ lange Zeitspanne von sieben Jahren zwischen Beendigung des Darlehens und Zeitpunkt des Widerrufs sei weder ein Zeichen für Verwirkung, noch dafür, dass der Verbraucher sein Widerrufsrecht rechtsmißbräuchlich ausgeübt habe.

Vielmehr müsse die Bank, die in ihrem Kreditvertrag eine falsche Widerrufsbelehrung verwendet hat, davon ausgehen, dass der Kunde auch nach Ende des Darlehens nicht richtig über sein Widerrufsrecht informiert gewesen sei. Das Kreditinstitut müsse also auch Jahre nach Ende des Darlehens damit rechnen, dass der Kunde den Widerrufsjoker noch nutze, wenn er denn davon erfahre.

Welche Schlussfolgerungen sind nun aus diesem Urteil zu ziehen? Nun, sicher wird die Frage der Verwirkung beim Widerruf eines beendeten Darlehens bundesweit weiter umstritten bleiben. Allerdings müssen sich zumindest Banken aus dem Zuständigkeitsbereich des OLG Stuttgart nun warm anziehen, wenn es darum geht, dass Kunden den Widerrufsjoker bei bereits beendeten Darlehen ziehen. Aber auch bei anderen Gerichten können zumindest rechtsschutzversicherte Kunden den Widerruf eines bereits beendeten Darlehens erwägen.

Wichtig bleibt stets die individuelle Prüfung der rechtlichen Ausgangslage durch einen erfahrenen Anwalt. Die Interessengemeinschaft Widerruf bietet diesen Service unter www.widerruf.info kostenlos und unverbindlich an. Im Zuge dieser Prüfung erfahren Sie auch, welche Chancen Sie haben, den Widerrufsjoker zu ziehen und ob in Ihrem Fall eine Rechtsschutzversicherung greift.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Schmidmüller

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    ich habe mein Darlehen vom 2008 im August 2014 wegen Hausverkauf und Krankheit vorzeitig zurückgeführt.
    Ich musste ca. 43.000 € Vorfälligkeitsgebühren bezahlen. Im Oktober 2015 haben wir die Bank wegen der fehlerhaften Widerrufsbelehrung konfrontiert. Die Bank hat das verneint und abgelehnt. Im Januar 2016 haben wir den Widerruf erklärt.
    Die Bank beruft sich jetzt auf Verwirkung und Rechtsmissbrauch, bieten uns 10.000 € als Vergleich an.
    Haben Sie Erfahrung, wie das Gericht in München bezüglich Verwirkung urteilt in solchen Fällen ?
    Vielen Dank im Vorraus.

    1. Roland Klaus

      Zur Rechtsprechung in München kann ich leider nichts genaues sagen. Allerdings ist die Tatsache, dass die Bank bereits (wenn ich das richtig verstehe) ohne Hinzunahme eines Anwalts ein solches Angebot macht, in der Regel ein Zeichen, dass mit anwaltlicher Unterstützung noch eine deutliche Nachbesserung möglich ist – meist auch ohne Klage.

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