Margin Call wegen überzogenem Wertpapierkredit – so wehren sich Anleger
Anleger, die mit Wertpapierkrediten arbeiten, können bei Kursverlusten ihrer Papiere in Bedrängnis geraten. Banken verschicken dann sogenannte Margin Calls, sie drohen also mit Zwangsverkäufen. Doch das dürfen sie häufig gar nicht, wie ein aktuelles Gerichtsurteil zeigt.
In einem spektakulären Urteil hat das OLG Schleswig (Az. 5 U 132/22) eine weit verbreitete Praxis von Banken und Brokern, nämlich Margin Calls und Zwangsverkäufe von Wertpapieren, für unzulässig erklärt. Anleger, die davon betroffen sind, können sich nun wirksam wehren.
Darum geht es: Viele Banken und Broker gewähren ihren Kunden sogenannte Wertpapierkredite. Dazu wird das vorhandene Depot als Sicherheit genommen, um dem Kunden ein Darlehen zu geben, mit dem er weitere Aktien oder andere Papiere kaufen kann. Das wird dann zum Problem, wenn die Kurse der Wertpapiere im Depot so stark sinken, dass die Beleihung für das Darlehen nicht ausreicht.
Banken verschicken dann sogenannte Margin Calls. In diesen Schreiben fordern sie den Kunden auf, entweder Geld oder Papiere nachzuschießen oder Aktien zu verkaufen – und somit den Wertpapierkredit zu reduzieren. Für den Fall, dass der Kunde nicht eigenständig handelt, drohen sie sogenannte Zwangsverkäufe von Wertpapieren an. Die Bank verkauft in diesem Fall also ohne Zustimmung des Kunden Teile des Depots.
Im vorliegenden Fall, der vor dem OLG Schleswig verhandelt wurde, hatte ein Kunde der Comdirect eine größere Position von Deutsche-Bank-Aktien gekauft und dies unter anderem mit einem Wertpapierkredit finanziert. Als Anfang 2020 der Aktienmarkt und mit ihm die Aktie der Deutschen Bank abstürzte, fiel der Beleihungswert des Depots deutlich unter den Wert des Kredits. Die Comdirect verschickte daraufhin einen Margin Call und drohte mit dem Zwangsverkauf der Papiere.
Da der Kunde nicht ausreichend reagierte, verkaufte die Bank kurz danach einen großen Teil seiner Deutsche-Bank-Aktien zu Tiefkursen an der Börse. Es entstand ein Minus von fast 70 Prozent im Vergleich zum Einstandskurs des Kunden und ein Schaden von mehr als 100.000 Euro. Die Comdirect verwies darauf, dass dieses Vorgehen durch die AGBs des Kredits gedeckt sei.
Dagegen wehrte sich der Kunde und klagte. Das OLG Schleswig gab ihm nun in zweiter Instanz recht. Das Gericht bezeichnet die Klausel der Comdirect, die die Basis für die Margin Calls legt, als nichtig. Diese lautet: „Die Comdirect ist berechtigt, aber nicht verpflichtet, zur Wiederherstellung der vereinbarten Deckungsrelationen Depotwerte zu veräußern. Außerdem kann Comdirect anderweitige Sicherheiten verlangen, um die vereinbarte Sicherungsquote wiederherzustellen.“ Die Bank muss daher nun den Schaden des Kunden ersetzen.
Das Urteil ist deswegen spektakulär, weil es nicht nur auf diesen Einzelfall angewendet werden kann. Nach unserer Analyse finden sich ähnliche Klauseln bei fast allen Banken und Brokern, die ihren Kunden Wertpapierkredite anbieten. Das bedeutet: Kunden, die von ihrer Bank mit Zwangsverkäufen bedroht werden oder bei denen eine sogenannte Zwangsliquidation von Wertpapieren bereits stattgefunden hat, können sich nun wehren! Sie können entstandene Verluste in vielen Fällen von den Banken zurückfordern oder die Banken auffordern, die Margin Calls einzustellen.
Dies wird in der Regel nicht ohne anwaltliche Hilfe möglich sein. Die Interessengemeinschaft Widerruf hat sich daher entschieden, betroffene Anleger zu unterstützen. Im ersten Schritt wird kostenlos geprüft, ob der Wertpapierkreditvertrag eine möglicherweise nichtige Klausel enthält. Ist dies der Fall, so unterstützen die Anwälte den Kunden bei der Geltendmachung seiner Rechte gegenüber der Bank.