Neues BGH-Urteil: Wie zwei Matratzen den Widerrufsjoker stärken
Manchmal geht das Leben seltsame Wege. Noch vor wenigen Wochen hat ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) die Chancen von Immobilienkäufern mit Hilfe des sogenannten Widerrufsjokers aus ihren Darlehen auszusteigen, zumindest in einigen Fällen geschmälert. Nun schafft ein weiteres Urteil der Karlsruher Richter zum Kauf zweier Matratzen eine grundlegend neue und verbraucherfreundliche Ausgangslage für den Widerrufsjoker.
Der Richterspruch klingt zunächst unspektakulär und hat trotzdem eine Menge Brisanz. Ein Verbraucher hatte online zwei Matratzen gekauft und bezahlt. Kurz nach Lieferung stellte er fest, dass es die Schlafunterlagen bei einem anderen Anbieter günstiger gab und verlangte von seinem Händler unter Hinweis auf dessen „Tiefpreisgarantie“ die Rückzahlung der Differenz von 33 Euro. Zu einer Einigung kam es jedoch nicht, worauf der Käufer von seinem Widerrufsrecht Gebrauch machte und die Matratzen fristgerecht zurückschickte.
Der Händler weigerte sich, den Widerruf zu akzeptieren. Er argumentiert, dass der Kunde sich rechtsmißbräuchlich verhalten habe, weil es ihm nicht in erster Linie darum ging, vom Kauf der Matratzen zurückzutreten – sondern darum, Geld zu sparen. Dieser Argumentation haben die BGH-Richter nun einen Riegel vorgeschoben. Sie urteilten, dass der Kunde zu Recht von seinem Kauf zurückgetreten ist. Dabei sei es völlig egal, ob ihm die Ware nicht gefallen habe oder ob es ihm darum gegangen sei, die gleiche Ware woanders für ein paar Euro weniger zu kaufen.
Für die Wirksamkeit des Widerrufs genügt allein, dass der Widerruf fristgerecht erklärt wird. Die Vorschriften über den Widerruf sollen dem Verbraucher ein effektives und einfach zu handhabendes Recht zur Lösung vom Vertrag geben. Einer Begründung des Widerrufs bedarf es nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung nicht. Deshalb ist es grundsätzlich ohne Belang, aus welchen Gründen der Verbraucher von seinem Widerrufsrecht Gebrauch macht.
Was auf Matratzen gemünzt ist, gilt in gleichem Masse auch für den Widerrufsjoker, also für die vielen Zehntausend Fälle, in denen Kreditnehmer ihre Darlehen aufgrund einer fehlerhaften Widerrufsbelehrung widerrufen haben. Denn auch hier steht in der Regel nicht im Vordergrund, dass der Kreditnehmer sich von seinem Darlehen lösen will. Stattdessen möchten die meisten Kreditnehmer lediglich die deutlich gesunkenen Zinsen dazu nutzen, um ihr Darlehen an die aktuellen Marktzinsen anzupassen und damit typischerweise den Zinssatz mehr als zu halbieren.
Entsprechend haben viele Kreditinstitute den Widerruf der Kunden mit dem Argument zurückgewiesen, der Kreditnehmer handele rechtsmißbräuchlich, weil er lediglich die gesunkenen Zinsen zu seinem Vorteil nutzen wolle. Dieser Meinung haben sich zuletzt auch einige Gerichte, vor allem in der ersten Instanz, angeschlossen – und den Widerruf zurückgewiesen.
Eine solche Sichtweise dürfte nach dem jüngsten Urteil des BGH kaum noch haltbar sein. Denn egal ob Matratzen oder Baufinanzierungen: Die obersten Richter stellen klar, dass der Widerruf keiner Motivationskontrolle standhalten muss. Ist die Widerrufsbelehrung falsch, dann ist der Widerruf auch Jahre nach Abschluss des Darlehens noch möglich – und zwar unabhängig davon, welche Zielsetzung der Verbraucher damit verfolgt.
Das jüngste BGH-Urteil verbessert daher die Aussichten von privaten Kreditnehmern massiv, aus einer laufenden Baufinanzierung auszusteigen, wenn die Widerrufsbelehrung fehlerhaft ist. Diese Voraussetzung erfüllen nach Analysen der Interessengemeinschaft Widerruf mehr als 70 Prozent aller Baukredite, die zwischen Ende 2002 und Mitte 2010 abgeschlossen wurden.
Verbraucher, die eine solche Baufinanzierung abgeschlossen haben, sollte daher die Widerrufsbelehrung des Kreditvertrags anwaltlich prüfen lassen. Die Interessengemeinschaft Widerruf (www.widerruf.info) bietet diese Prüfung kostenlos an. Da der Gesetzgeber jedoch den Widerruf von Darlehen, die bis Mitte 2010 abgeschlossen wurden, nur noch bis zum 21. Juni 2016 zulässt, sollten betroffene Verbraucher schnell handeln, um ihr Recht nicht zu verlieren.