Widerrufsjoker: Wichtige BGH-Entscheidung zur Verwirkung steht an
Private Kreditverträge, bei denen der Darlehensvertrag eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung beinhaltet, sind angreifbar. In diesem Fall beginnt nämlich die übliche Widerrufsfrist von 14 Tagen nach Abschluss des Kredits nicht zu laufen. Dadurch sind diese Darlehen auch Jahre nach Abschluss noch vom Kunden widerrufbar und müssen rückabgewickelt werden (sogenannter Widerrufsjoker). Das ist aufgrund der deutlich gesunkenen Zinsen in den vergangenen Jahren eine äußerst attraktive Option für alle, die ein Baudarlehen aufgenommen haben.
Durch einen Widerruf kann der Verbraucher nämlich aus seinem teuren Darlehen aussteigen und die aktuellen Niedrigzinsen für eine Umschuldung nutzen. Für die Frage, was bei einer Widerrufsbelehrung fehlerhaft bzw. nicht fehlerhaft ist, hat der Gesetzgeber sehr strenge Regeln gesetzt. Dadurch ergibt sich, dass rund 75 % aller Darlehen, die zwischen November 2002 und Mitte 2010 abgeschlossen worden sind, fehlerhaft sind.
Um diese enorme Zahl von Baufinanzierungen nicht rückabwickeln zu müssen, greifen die Kreditinstitute im Wesentlichen zu zwei Argumenten, um sich zu verteidigen: Zum einen sagen sie, dass das Widerrufsrecht bereits verwirkt sein. Das bedeutet, dass der Abschluss des Darlehens bereits so lange zurückliegt, dass die Bank sich darauf verlassen kann, dass der Kunde es nicht mehr angreift.
Zum andern argumentieren sie mit der sogenannten Rechtsmißbräuchlichkeit. Diese besagt, dass der Widerruf unzulässig sei, weil der Kunde sich nicht grundsätzlich von seinem Darlehen lossagen möchte, sondern nur aufgrund der Zinsentwicklung nach einer günstigeren Finanzierungsmöglichkeit sucht. Deswegen werde der Widerruf rechtsmissbräuchlich ausgesprochen, um Geld zu sparen. Dies sei aber nicht im Sinne des Widerrufsrechts.
Dieser Argumentation der Banken hat der BGH unlängst einen Strich durch die Rechnung gemacht, indem er sagte, dass der Widerruf des Kunden völlig unabhängig von seiner Motivation zulässig sei. Das Argument der Rechtsmißbräuchlichkeit werden die Banken nun also von den Gerichten um die Ohren gehauen bekommen. Bleibt die Verwirkung.
Zur Frage der Verwirkung steht am 5. April 2016 eine entsprechende Entscheidung des Bundesgerichtshofs auf der Tagesordnung. In dem Fall geht es konkret um mehrere Darlehen, die Anfang 2012 durch Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung frühzeitig vom Verbraucher beendet worden. Ende 2013, also knapp zwei Jahre später, widerrief der Kreditnehmer die Darlehen mit Hinweis auf eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung und forderte seine Vorfälligkeitsentschädigung zurück.
Die Bank verweigerte dies mit Hinweis auf die Verwirkung. Immerhin lag nicht nur der Abschluss des Darlehens bereits etliche Jahre zurück, sondern der Kunde hatte den Kredit auch bereits auf eigenen Wunsch frühzeitig beendet. Dadurch sei sein Recht auf Widerruf verwirkt, so das Kreditinstitut. In den ersten beiden Instanzen (LG Stuttgart und OLG Stuttgart) wurde die Bank zur Rückzahlung der Vorfälligkeitsentschädigung verurteilt. Dagegen klagt sie nun vor dem BGH.
Die Entscheidung hat wegweisenden Charakter, weil die Verwirkung zu den Standardargumenten der Kreditinstitute gehört, mit denen sie den Widerruf der Kunden ablehnen. Kippt der BGH nun nach der Rechtsmißbräuchlichkeit auch noch das Argument der Verwirkung, dann senkt das die Chancen der Kreditinstitute massiv, sich dem Widerruf eines Kunden zu widersetzen. Im Gegenzug würden die Chancen von Verbrauchern gestärkt, die den Widerrufsjoker ziehen.
Die Entscheidung des BGH wird dementsprechend mit Spannung erwartet. Es bleibt zu hoffen, dass die Revision der Bank nicht kurzfristig zurückgezogen wird. In der Vergangenheit sind Kreditinstitute nämlich vergleichbaren Urteilen aus dem Weg gegangen, indem sie entweder Klagen der Kunden anerkannt haben oder eigene Klagen zurückgezogen haben.
Das BGH-Urteil wird allerdings nichts an der kurzen verbleibenden Frist für Verbraucher ändern, die noch für die Nutzung des Widerrufsjokers verbleibt. Das neue Gesetz für Immobilienkredite, das am 21. März 2016 in Kraft getreten ist, sieht nämlich vor, dass der Widerruf des Kunden bis spätestens 21. Juni 2016 erfolgen muss. Selbst wenn der BGH also das Argument der Verwirkung aushebelt, bleiben Kreditnehmern nur noch wenige Wochen Zeit, um ihren Widerruf zu erklären.
Deswegen sollten betroffene Verbraucher unverzüglich ihren Darlehensvertrag auf eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung prüfen lassen. Die Interessengemeinschaft Widerruf (www.widerruf.info) bietet diese Prüfung durch erfahrene Anwälte kostenlos und unverbindlich an. Bei entsprechender Fehlerhaftigkeit des Darlehens bieten die Experten auch konkrete Unterstützung bei der Umsetzung des Widerrufs. In vielen Fällen kommt eine Rechtsschutzversicherung für die Kosten auf, teilweise kann diese auch noch abgeschlossen werden, wenn sie nicht schon besteht.
Immobilienkäufer, die ihren Kauf finanziert haben, sollten also nicht länger zögern und prüfen lassen, ob die Nutzung des Widerrufsjokers für Sie infrage kommt.
Das BHG hat den Termin in Sachen XI ZR 478/15 zur Revision am 5.4.16 mittlerweile aufgehoben. Daher gibt es, wie auch zu erwarten, immer noch keine Rechtssicherheit in Sachen Verwirkung. Immerhin hat die Beklagte den hier betroffenen Klägern jetzt das Vorfälligkeitsentgelt zu erstatten.
Ja, das ist ziemlich ärgerlich. Aber es gibt auch einen positiven Aspekt, über den ich hier geschrieben habe:
https://www.widerruf.info/?p=1026
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