Widerrufsjoker: Verwirkung beim Widerruf beendeter Kredite

Eine der großen Unwägbarkeiten beim sogenannten Widerrufsjoker, dem Widerruf von Baufinanzierungen, besteht in folgendem Aspekt: Hat der Kreditnehmer sein Widerrufsrecht verwirkt, wenn er den Widerruf erst nach Beendigung des Darlehens ausgesprochen hat? Dann wäre der Widerruf eines Kreditnehmers zurückzuweisen, selbst wenn sein Kreditvertrag eine eindeutig falsche Widerrufsbelehrung enthält. Die Situation ist etwas unübersichtlich.

Um den Widerrufsjoker bei einem bereits getilgten Darlehen erfolgreich zu ziehen, sollten Sie vorher prüfen, ob ihr Widerrufsrecht möglicherweise verwirkt ist. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in mehreren Urteilen leider nicht für alle Fälle eindeutig beantwortet, wann das konkret der Fall ist. Stattdessen hat er darauf hingewiesen, dass dieser Aspekt im Einzelfall zu bewerten sei und diese Entscheidung an die unteren Instanzen übertragen.

Nun ist es aber leider so, dass sich die zahlreichen Landgerichte und Oberlandesgerichte in dieser Frage alles andere als einig sind. Aus den Erfahrungen der Interessengemeinschaft Widerruf (www.widerruf.info), die zahlreiche Verbraucher beim Widerruf ihrer Baufinanzierungen begleitet hat, lässt sich folgendes sagen: Klar ist, dass in der Regel keine Verwirkung vorliegt, wenn der Kunde den Widerruf des Kredits zu einem Zeitpunkt ausspricht, zu dem dieses noch läuft und auch noch nicht prolongiert wurde. Das immerhin hat der BGH in einem Urteil aus 2016 (Az. XI ZR 564/15) klar beantwortet.  In diesen Fällen kann man den Aspekt der Verwirkung normalerweise beiseite lassen und sich ausschließlich darauf konzentrieren, ob die Widerrufsbelehrung des Kreditvertrags fehlerhaft ist. Gefährlich könnte lediglich eine zwischenzeitliche Prolongation des Darlehens werden. Auch dies haben einige Gerichte bereits als Anlass genommen, auf Verwirkung zu entscheiden – allerdings handelt es sich dabei um eine klare Minderheitsmeinung bei wenigen Gerichten.

Schwieriger wird es, wenn der Widerruf des Darlehens erst ausgesprochen wurde, nachdem der Kredit bereits beendet wurde. Denn in diesen Fällen ist die Rechtsprechung zum Widerrufsjoker sehr uneinheitlich, man könnte auch sagen: sie gleicht Kraut und Rüben. So gibt es etliche Urteile, die auch dann nicht von Verwirkung ausgehen, wenn der Widerruf des Darlehens einige Jahre nach Beendigung des Kredits erfolgt ist. Beispielhaft dafür ist ein Urteil des OLG Frankfurt (23 U 46/16), das ein Kooperationsanwalt der Interessengemeinschaft Widerruf vor kurzem erstritten hat.

In diesem Fall hatte der Verbraucher seine Baufinanzierung vorzeitig beendet und dafür eine Vorfälligkeitsentschädigung bezahlt. Erst fünf Jahre später widerrief er den Darlehensvertrag. Trotzdem verurteilte das Gericht die Bank zur Rückzahlung der Vorfälligkeitsentschädigung zuzüglich Zinsen. Ähnliche Urteile lassen den Schluss zu, dass zumindest einige Gerichte eine Zeitspanne von sechs bis sieben Jahren als Obergrenze ansehen, innerhalb derer beim Widerrufsjoker keine Verwirkung vorliegt.

So hat das OLG Nürnberg (Az. 14U 2519/14) unlängst einen Widerruf wegen Verwirkung zurückgewiesen, der mehr als sieben Jahre nach Beendigung des Darlehens erfolgte. Die Begründung für die Verwirkung lautete dabei unter anderem, dass die Bank sechs Jahre nach Beendigung des Kredits die Schriftstücke aus der Kundenkommunikation vernichten dürfe.

Leider gibt es auf der anderen Seite aber auch Urteile, die bereits dann von Verwirkung ausgehen, wenn der Widerruf des Darlehensvertrags wenige Tage nach Beendigung des Kredits erfolgt ist. Die Argumentation dahinter lautet wie folgt: Eine Verwirkung kann nicht vorliegen, solange das Kreditinstitut die Möglichkeit hat, den Kunden mit einer Korrektur der falschen Widerrufsbelehrung nach zu belehren. Das ist sinnvollerweise nur während der Laufzeit des Kredits möglich.

Einen interessanten Kompromiss scheint derzeit das Kammergericht Berlin (zweite Instanz, vergleichbar mit Oberlandesgerichten) zu wählen. In einem aktuellen Urteil (Az. 24U/39-16) sprechen die Richter davon, dass eine Verwirkung in der Regel dann nicht anzunehmen ist, wenn der Widerruf innerhalb von sechs Monaten nach Beendigung des Darlehens ausgesprochen wurde. Dies wäre aus unserer Sicht ein erträglicher Kompromiss, weil es einer großen Gruppe von Kreditnehmern den Zugang zum erfolgreichen Widerrufsjoker ermöglichen würde.

Häufig ist es nämlich so, dass Verbraucher eine finanzierte Immobilie verkaufen wollen und daher eine hohe Vorfälligkeitsentschädigung an ihre Bank zahlen müssen, um das Darlehen vor Ablauf der Zinsbindung zu beenden. In diesen Fällen ist es zumeist sinnvoll, zunächst die Vorfälligkeitsentschädigung zu bezahlen, um den Verkauf der Immobilie nicht zu gefährden. Schließlich muss das Kreditinstitut die Grundschuld freigeben, damit der Erwerber der Immobilie seine Finanzierung sicherstellen kann. In diesen Fällen ist es also ratsam, den Darlehensvertrag erst dann zu widerrufen, wenn man die Vorfälligkeitsentschädigung bezahlt und damit das Darlehen beendet hat. Erfolgt der Widerruf dann zeitnah, also innerhalb von sechs Monaten, dann würde nach Verständnis der Berliner Richter keine Verwirkung vorliegen. Damit müsste zumindest die Vorfälligkeitsentschädigung zurückgezahlt werden – möglicherweise sogar eine Rückabwicklung des Darlehens vorgenommen werden, die dann noch lukrativer für den Verbraucher wäre.

Was heißt das nun für alle, die ein bereits beendetes Darlehen widerrufen haben oder noch widerrufen wollen?

  1. Grundsätzlich greift der Widerrufsjoker auch bei bereits beendeten Darlehen, allerdings ist dort neben der Fehlerhaftigkeit der Widerrufsbelehrung auch der Aspekt der Verwirkung zu prüfen.
  2. Je kürzer die Zeitspanne, die zwischen Beendigung des Darlehens und Widerruf vergangen ist, desto besser sind die Chancen für den Widerrufsjoker.
  3. Sind weniger als sechs Monate zwischen Beendigung und Widerruf vergangen, so stehen die Chancen grundsätzlich gut – vorausgesetzt natürlich, die Widerrufsbelehrung weist entsprechende Fehler auf.
  4. Sind zwischen Beendigung und Widerruf mehr als sechs Monate vergangen, so sollte sehr genau geprüft werden, wie die Aussichten stehen. Dazu gehört beispielsweise, dass der Anwalte Sie über die Rechtsprechung  des für Sie zuständigen Gerichts in vergleichbaren Fällen informieren sollte.
  5. Sind zwischen Beendigung und Widerruf mehr als sechs Jahre vergangen, so sind die Chancen auf einen Widerruf als eher gering einzuschätzen.

 

Verbraucher, die eine Baufinanzierung widerrufen möchten oder den Widerruf bereits ausgesprochen haben, können ihren Kreditvertrag kostenlos und unverbindlich unter www.widerruf.info bei der Interessengemeinschaft Widerruf durch erfahrene Anwälte prüfen lassen. Im Zuge dieser Prüfung erfahren Sie nicht nur, ob die Widerrufsbelehrung fehlerhaft ist, sondern auch, wie der Aspekt der Verwirkung in Ihrem konkreten Fall einzuschätzen ist.

Ergibt die Prüfung, dass der Widerrufsjoker in ihrem Fall greift, dann sagen Ihnen die Anwälte auch, wie Sie am besten vorgehen und welche Kosten bei der Umsetzung des Widerrufs anfallen würden. Zusätzlich wird dabei geprüft, ob eine Rechtschutzversicherung greift oder ob eine Prozessfinanzierung eine Alternative darstellt.

 

 

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Müller

    Diese rechtliche Beurteilung im Fall von bereits seit Jahren beendeten Verträgen halte ich für fehlerhaft, da sie letztlich nur auf das Zeitmoment abstellt. Notwendig ist des Weiteren insbesondere das Umstandsmoment, welches in der Regel, bei sorgfältiger Prüfung des Vortrags der Bank, schon nicht von der Bank dargelegt worden ist und auch nicht dargelegt werden kann (vgl. u. a. OLG Frankfurt, Az. 23 U 46/16).
    Daher meine ich, dass der Bericht ein falsches Bild zeichnet und überarbeitet werden sollte.

    1. Roland Klaus

      Die Praxis zeigt, dass bei Verträgen, die mehrere Jahre nach Beendigung widerrufen werden, die Rechtsprechung sehr uneinheitlich ist. Es gibt durchaus Urteile, die auch das Umstandsmoment als gegeben sehen, siehe ganz aktuell OLG Frankfurt Az.: 19 U 13/16.

      Insofern gibt es da am Artikel auch nichts zu überarbeiten. Bei einem Darlehen, das mehrere Jahre nach Beendigung widerrufen wird, ist es ungewiss, ob der Widerruf vor Gericht durchgeht oder nicht. Bei Gerichten, bei denen es nur eine Kammer gibt, die sich mit solchen Fällen beschäftigt, kann man anhand früherer Entscheidungen abschätzen, wie die Chancen stehen.

      Aber beispielsweise in Frankfurt geht die Sache soweit, dass die verschiedenen Kammern unterschiedlich entscheiden. Da ist es dann wirklich Glücksspiel, bei welcher Kammer man landet. Für Verbraucher heißt das: Solche Fälle kann man durchaus angehen, wenn eine Rechtsschutzversicherung greift. Auf eigene Kosten zu klagen, raten wir hier eher ab, es sei denn, eine Analyse des Gerichtsstandorts zeigt, dass die Richter verbraucherfreundlich urteilen.

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