OLG Frankfurt: Widerrufsjoker greift bei vielen Baufinanzierungen von Volksbank und Sparda
Neuer Rückenwind für den Widerruf von Baufinanzierungen aus dem Zeitraum nach Juni 2010: Das OLG Frankfurt hat in einem spannenden Urteil (25 U 110/16) entschieden, dass ein Kreditvertrag mit einer Genossenschaftsbank fehlerhaft ist und rückabgewickelt werden muss. Dieses Widerrufsjoker-Urteil ist relevant für zahlreiche Kunden aus dem genossenschaftlichen Sektor (Volksbank, Raiffeisenbank, Sparda, PSD), da dort ein ähnliches Vertragsmuster verwendet wurde. Aber auch für Kunden der ING Diba dürfte das Urteil interessant sein.
In dem Fall ging es um das Thema „falsche Pflichtangaben“ in der Widerrufsbelehrung eines Kreditvertrags, das uns ja schon mehrfach im Blog der Interessengemeinschaft Widerruf unter www.widerruf.info beschäftigt hat. Interessant ist vor allem, dass das Urteil des OLG Frankfurt in Sachen Verbraucherfreundlichkeit die jüngste BGH-Rechtsprechung übersteigt.
So hatte der Bundesgerichtshof Ende 2016 geurteilt, dass die Nennung einer fehlerhaften Pflichtangabe in der Widerrufsbelehrung nicht schädlich sei – vorausgesetzt, die (eigentlich überflüssige) Pflichtangabe werde dem Kunden im Darlehensvertrag dann auch genannt.
Im fraglichen BGH-Fall ging es um die Nennung der „zuständigen Aufsichtsbehörde“ bei einer Sparkasse. Damals hatte der Bundesgerichtshof den Kreditvertrag für fehlerhaft eingestuft, weil die Aufsichtsbehörde nicht im Kreditvertrag aufgeführt worden war.
In dem nun beim OLG Frankfurt vorliegenden Fall ging es auch um die „Aufsichtsbehörde“, allerdings war der Fall etwas anders gelagert: Die Aufsichtsbehörde war ebenfalls in der Widerrufsbelehrung als Pflichtangabe aufgeführt und wurde in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen benannt, die üblicherweise zum Kreditvertrag gezählt werden. Doch dies war dem OLG Frankfurt nicht genug. Die entscheidende Aussage des Urteils lautet: Wird die fragliche Pflichtangabe in einem Zusatz des Darlehensvertrags genannt (hier also den AGBs), so muss der Kreditvertrag einen klaren und prägnanten Verweis enthalten, der es dem Verbraucher ermöglicht, zu erkennen, wo er die entsprechenden Informationen in den AGBs findet.
Das OLG Frankfurt stützt sich dabei auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs EuGH vom 09.11.2016 (Az. C-42/15), das dieses Verständlichkeitsgebot definiert. Der dort geforderte Hinweis fehlte jedoch nicht nur im vorliegenden Darlehensvertrag. Er fehlt vielmehr auch in zahlreichen weiteren Darlehen von Volksbanken, Raiffeisenbanken, Sparda und PSD Banken – sie alle verwenden als Mitgliedsbanken des genossenschaftlichen Sektors ähnliche Darlehensformulare.
Das Urteil des OLG Frankfurt stärkt damit vor allem die Chancen beim Widerrufsjoker für Verbraucher, die im Zeitraum Juni 2010 bis 2011 eine Baufinanzierung bei einem genossenschaftlichen Institut abgeschlossen haben. Aber auch für Kunden der ING Diba, die zwischen 2010 und 2015 einen Kredit abgeschlossen haben, könnten davon profitieren. Denn wie von der Interessengemeinschaft Widerruf (www.widerruf.info) mehrfach geschrieben, fehlt bei diesen Krediten auch eine wichtige Pflichtangabe im Kreditvertrag, nämlich die Laufzeit bis zur vollständigen Tilgung des Darlehens.
Diese wird zwar im sogenannten Europäischen Standardisierten Merkblatt (ESM) nachgereicht, das aber unserer Meinung nach nicht zum Kreditvertrag gehört. Selbst wenn man nun der Sichtweise der ING Diba folgen sollte, dass das ESM Teil des Kreditvertrags ist, so fehlt doch der klare und prägnante Hinweis für den Verbraucher, wo er den Hinweis auf die Darlehenslaufzeit findet. Somit bietet das jüngste Frankfurter Urteil nicht nur Rückenwind beim Widerrufsjoker für Kunden der genossenschaftlichen Banken, sondern auch für Baufinanzierungskunden der ING Diba.
Verbraucher sollten daher ihren Kredit kostenlos und unverbindlich über unser Prüfungsformular von den erfahrenen Anwälten der Interessengemeinschaft Widerruf prüfen. Im Zuge dieser Prüfung erfahren Sie nicht nur, ob der Widerrufsjoker greift, sondern auch welche konkrete Vorgehensweise die sinnvollste ist. Dabei wird auch geprüft, ob eine Rechtsschutzversicherung für die Kosten aufkommt oder ob eine Prozessfinanzierung in Frage kommt.
Die Ansicht, das ESM sei Bestandteil des Kreditvertrags, ist abstrus. Bereits schon der Einleitungstext hierzu erläutert, diese Angaben seien kein rechtsverbindliches Angebot. Weiter heißt es, die Aushändigung dieses Informationsblattes verpflichte den Darlehensgeber nicht automatisch zur Darlehensbewilligung.
Bereits diese Formulierungen machen deutlich, dass es sich um keinen Vertragsbestandteil handeln kann sondern nur um vorvertragliche Informationen. Ein Vertragsbestandteil kann nicht unverbindlich sein.
Der BGH hat sich mit Urteil vom 04.Juli 2017 Az XI ZR 741/16 nicht der Rechtsmeinung des oben zitierten Urteils des OLG Frankfurt, das sich auf die Rechtsprechung des EuGH stützt, angeschlossen. Er tritt damit in Divergenz zum Europäischen Gerichtshof, der diese Rechtsfrage anders entschieden hat bei gleichen Vorgaben wie Nennung der Pflichtangabe ” Aufsichtsbehörde” in den AGB und Hinweis auf die AGB im Darlehensvertrag. Es wird spannend, wie der BGH diese Divergenz begründen wird.