Widerrufsjoker – die Sache mit der fehlenden Vertragsurkunde

Bisher hat sich der Widerruf von Baufinanzierungen, der sogenannte Widerrufsjoker, auf eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung gestützt. Nun kommt aber eine weitere Komponente hinzu – die vor allem für ältere Verträge interessant ist, die nicht rechtzeitig zum Juni 2016 widerrufen worden sind.

Immer wieder erreichen uns bei der Interessengemeinschaft Widerruf Anfragen von Verbrauchern, die vor Juni 2010 eine Baufinanzierung abgeschlossen haben und nun prüfen möchten, ob diese noch widerrufbar ist. In der Regel mussten wir diesen Anfragen bislang eine Absage erteilen. Grund: Der Gesetzgeber hat im Frühjahr 2016 beschlossen, dass Immobilienkredite aus der Zeit von Juni 2010 auch bei einer fehlerhaften Widerrufsbelehrung nicht mehr widerrufen werden können. Pech gehabt, könnte man meinen.

Doch nun öffnet sich durch aktuelle Gerichtsurteile für viele Verbraucher eine Lücke, die es ermöglicht, auch ältere Baufinanzierungen noch anzugreifen. Denn nicht selten haben auch Kredite aus der Zeit vor Juni 2010 noch eine lange Zinsbindungsfrist bei sehr hohen Zinsen, was einen Widerruf äußerst lukrativ macht.

Bei der oben erwähnten Lücke geht es nicht darum, dass die Bank eine falsche oder missverständliche Widerrufsbelehrung verwendet hat. Vielmehr lautet die Argumentation, dass eine Voraussetzung für den Beginn der Widerrufsfrist nicht erfüllt wurde. Konkret geht es darum, dass es in zahlreichen Widerrufsbelehrungen heißt, die Widerrufsfrist beginne zu laufen, nachdem der Verbraucher von seinem Kreditinstitut eine „Vertragsurkunde“ erhalten haben.

Was aber genau ist eine Vertragsurkunde? Reicht hier der Vertragsentwurf, den der Kunde zur Unterschrift von seiner Bank zugeschickt bekommt? Nein, sagt der Bundesgerichtshof (BGH) in einem aktuellen Urteil (Az. XI ZR 381/16). Vielmehr sei eine Vertragsurkunde das von beiden Vertragsparteien unterschriebenes schriftliche Original des Vertrags. Die wenigsten Kreditinstitute haben ihren Kunden jedoch ein solches von beiden Seiten unterschriebenes Vertragsdokument zukommen lassen. Dies gilt zumindest dann, wenn der Kreditvertrag nicht bei einem persönlichen Termin in den Räumen der Bank unterzeichnet wurde, sondern die Unterschriften per Post ausgetauscht wurden.

Banken, die so vorgegangen sind, haben nun ein Problem. Wurde dem Kunden keine solche Vertragsurkunde ausgehändigt, so beginnt auch die Widerrufsfrist nicht zu laufen. Der Kunde kann also seinen Kredit noch Jahre nach Abschluss widerrufen. Und auch die Gesetzesänderung aus 2016 greift hier nicht. Denn wir haben es schließlich nicht mit einer fehlerhaften Widerrufsbelehrung zu tun, sondern damit, dass das Kreditinstitut eine Grundvoraussetzung für das Anlaufen der Widerrufsfrist nicht erfüllt hat.

Unter dem Strich greift der Widerrufsjoker somit auch bei Altdarlehen erneut. Eine Kooperationskanzlei der IG Widerruf hat unlängst vor dem Landgericht Frankfurt ein Urteil (2-07 O 32/17) erwirkt, in dem unter anderem aus diesem Grund eine Baufinanzierung als widerrufbar eingestuft wurde. In einem weiteren Urteil vor dem Landgericht München wurde eine Sparda-Bank ebenfalls aus diesem Grund verurteilt.

Verbraucher bekommen also mit dieser neuen Argumentation eine unverhoffte Chance auf den Widerrufsjoker, wenn sie bei einer Baufinanzierung aus der Zeit bis Juni 2010 den Widerruf nicht rechtzeitig ausgesprochen haben. Jüngere Verträge sind ohnehin noch bei Vorliegen von Fehlern widerrufbar.

Lassen Sie deshalb Ihren Kreditvertrag kostenlos und unverbindlich mit Hilfe der Interessengemeinschaft Widerruf in unserem Prüfungsformular von erfahrenen Anwälten prüfen. Im Zuge dieser Prüfung erfahren Sie nicht nur, ob ein Anhaltspunkt für den Widerrufsjoker vorliegt. Wir sagen Ihnen auch, welche Kosten mit der Umsetzung eines Widerrufs verbunden wären und ob eine Rechtsschutzversicherung diese Kosten übernimmt.

 

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Jan Schmitz

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    erlischt das Widerrufsrecht bei ordnungsgemäßer Belehrung nicht 6 Monate nach Vertragsabschluss, § 355 (3) S. 1 BGB oder ist das europarechtswidrig?

    Ist das Urteil des LG Frankfurt 2-07 O 32/17 schon veröffentlicht? Ich konnte hierzu nichts finden.

    Vielen Dank.

    1. Roland Klaus

      Das Urteil liegt vor und kann bei uns angefordert werden. Ein grundsätzliches Erlöschen der Widerrufsfrist wurde zwar im vorliegenden Fall vom Gericht angesprochen, es kam allerdings aufgrund der fehlerhaften Belehrung nicht zum Tragen. Zudem wäre es nach Ansicht unserer Anwälte tatsächlich auch europarechtswidrig.

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